
Thukydides ist ein griechischer Staatsmann und Politiker. Er hat nicht nur den Peloponnesischen Krieg aufgezeichnet; sondern er hat auch in der Funktion eines Athener Strategen an ihm teilgenommen. Die Thukydides-Falle beschreibt er in der Vorgeschichte. Aus ihr hat der US-amerikanische Politologe Graham Allison den Begriff gewonnen und 2017 historisch unterlegt. Gemeint ist der Konflikt einer etablierten Macht gegenüber einer aufsteigenden Nation, von der sie sich bedroht fühlt und ihr deshalb den Krieg erklärt. Im peloponnesischen Krieg trafen das gesettelte Sparta und das aufstrebende Athen aufeinander. In der Gegenwart sind die USA und China die Protagonisten für die Thukydides-Falle.
Thukydides
Thukydides (454 v. Chr. – 399/396 v. Chr.) ist ein griechischer Historiker, der am Peloponnesischen Krieg als Stratege für Athen teilgenommen hat.
Lebenslauf
Über seinen Lebenslauf liegen nur wenige gesicherte Erkenntnisse vor. Vieles, was wir wissen, verdanken wir seinem Biografen Markellinos.
Markellinos, der im 5.nachchristlichen Jahrhundert gelebt hat, ist ein spätantiker Biograf von Thukydides. Seine Biografie ist erst 800 Jahre nach dessen Tod erschienen. Sie ist in drei Teile gegliedert, die jeweils mit biografischen Daten beginnen und danach in Stilanalysen übergehen. Sie nennt Homer, Pindar und Herodot seine literarischen Vorbilder. Da der Anteil der stilistischen Exegesen deutlich umfangreicher als die biografischen Erkenntnisse ist, verdient die Schrift die Bezeichnung Biografie aufgrund ihres Seltenheitswertes.
Geburt in Athen
Die Geburt in Athen macht ihn zu einem Mitglied einer aristokratischen Familie. Das Geburtsjahr 454 v. Chr. ergibt sich aus einer Rückrechnung seiner Bestellung als Stratege des Zehnerkollegiums in Athen im Jahre 425/4 v. Chr. Zu dieser Zeit muss er mindestes 30 Jahre alt gewesen sein.
Einsatz als Stratege
Der Einsatz als Stratege während des Peloponnesischen Krieges diente der militärischen Verstärkung Athens. Er beinhaltete den Auftrag, das thrakische Amphipolis gegen die Einnahme durch den spartanischen Feldherrn Brasidas (gefallen 422 v. Chr.) zu verteidigen. Da Thukydides eine halbe Tagesstrecke entfernt in Thasos stationiert war, konnte er seinen Auftrag nicht rechtzeitig erfüllen. Als er mit seinen Truppen eintraf, war Amphipolis bereits gefallen. Für dieses von ihm nicht zu verantwortende Zuspätkommen wurde er in Athen mit der Verbannung bestraft, während er noch bei der Truppe war.
Verbannung aus Athen
Die Verbannung aus Athen wurde Thukydides noch auf dem Schlachtfeld mitgeteilt. Ob er danach Athen aufgesucht oder sich gleich auf seine thrakischen Besitzungen zurückgezogen hat, ist unklar. Auch ist nicht bekannt, wo er die Verbannung insgesamt verbracht hat. Sicher ist aber, dass er diese Zeit zu Recherchen genutzt hat. Seine Aufzeichnungen der Ereignisse zum peloponnesischen Krieg hat er nach eigenen Angaben bereits 431 v. Chr. begonnen.
Amnestie zur Verbannung aus Athen und Lebensende
Die Amnestie zur Verbannung aus Athen erhielt Thukydides 404 v. Chr., dem letzten Kriegsjahr, im Zuge einer allgemeinen Strafbefreiung.
Über seinen Tod und dessen Ursachen ist nichts Näheres belegt. Er ist wohl zwischen 399 v. Chr. und 396 v. Chr. eingetreten, ob natürlich oder gewaltsam, ist umstritten.
Thukydides – Aufzeichnungen zum Peloponnesischen Krieg
Die Aufzeichnungen zum Peloponnesischen Krieg von Thukydides, wie sie heute vorliegen, sind nicht das Original; sondern sie sind einschließlich der Überschrift das Ergebnis von unterschiedlichen Bearbeitungen bis in die Gegenwart. Sie verfolgen das Ziel in Rekonstruktion und Übersetzung, das vorgefundene Material einem vermutlichen Original anzupassen.
Aufzeichnungen ohne Titel
Die Aufzeichnungen von Thukydides sind ohne Titel überliefert. „Der peloponnesische Krieg“ stammt also von späteren Bearbeitern. Der erste Satz lautet: „Thukydides, der Athener, hat den Krieg der Peloponnesier und Athener beschrieben, wie sie gegeneinander Krieg geführt haben.“
In welchem Zustand und welcher Reihenfolge sich die Aufzeichnungen befunden haben, bevor sich bearbeitet worden sind, ist unbekannt. Die ersten Bearbeiter haben ihnen die Überschrift „Der Peloponnesische Krieg“ gegeben. Dieser Titel hat bis heute Bestand. Thukydides selbst schreibt nur vom „Krieg der Peloponnesier“, nie vom „Peloponnesischen Krieg“.
Vorzeitiges Ende der Aufzeichnungen
Das Ende der Aufzeichnung ist ein unvollendeter Satz. Er folgt auf die Schilderungen von den zwei Seeschlachten bei Abydos im Jahre 411 v. Chr. In beiden besiegen die Athener die Peloponnesier.
Er verweist vermutlich auf das Ende des 21. Kriegsjahres nach dem folgenden Winter. Der Peloponnesische Krieg endet aber erst 404 v. Chr. mit dem Sieg der Spartaner. Das sind sieben Jahre später als das Ende der Auszeichnungen und fünf bis acht Jahre vor dem Tod von Thukydides.
Gliederungen der Aufzeichnungen
Verschiedene Gliederungen der Aufzeichnungen erleichtern die Übersicht über die Aufzeichnungen zum peloponnesischen Krieg von Thukydides.
Ordnungsbasierte Gliederung
Durchgesetzt hat sich dieordnungsbasierte Gliederungin acht Büchern mit nummerierten Kapiteln. Die Bücher haben keine inhaltlichen Überschriften. Sie enthalten nur den Hinweis, um welches Buch es sich handelt. Die Kapitel in den einzelnen Büchern sind lediglich nummeriert. Die Aufzeichnungen enden abrupt im 8. Buch Nr.109 mitten im Satz.
Inhaltliche Gliederung
Daneben gibt es inhaltliche Gliederungen, die auf der ordnungsbasierten Gliederung aufbauen. Eine aus fünf Teilen bestehende inhaltliche Gliederung ist die folgende.
Teil 1: 434 v. Chr. – 432 v. Chr.
- Kriegsursachen
- Spannungsverhältnisse
- Kriegsvorbereitungen
Teil 2: 431 v. Chr. – 421 v. Chr.
- Archidamischer Krieg
Teil 3: 421 v. Chr. – 416 v. Chr.
- Argwöhnische Waffenruhe
- Melierdialog
Teil 4: 425 v. Chr. – 413 v. Chr.
- Sizilianische Expedition
Teil 5: 414 v. Chr. – 404 v. Chr.
- Dekeleischer Krieg
Inhalt der Aufzeichnungen
Auf den Inhalt der Aufzeichnungen zum peloponnesischen Krieg einzugehen, sei auf einige Anmerkungen beschränkt; denn die inhaltliche Gliederung ist für diesen Blog-Beitrag aussagefähig genug.
Politische Darstellung zum Peloponnesischen Krieg
Die politische Darstellung des peloponnesischen Krieges als Krieg zweier unversöhnlicher Bündnissysteme zeichnet die Aufzeichnungen aus. Die aufstrebende Seemacht Athen fordert die etablierte Landmacht Sparta heraus. Thukydides erkennt, dass es sich um einen einzigen Krieg handelt. Seine Zeitgenossen sind der Ansicht, dass es sich um mehrere Kriege handelt, die durch Waffenstillstände oder Vertragsfrieden sowie kriegsfreie Zeiten voneinander abgegrenzt sind.
Philosophische Darstellung der Macht von Athen und Sparta
Die philosophische Darstellung der Macht erfolgt in Reden nach den Regeln, die Thukydides von den Sophisten übernommen hat. Macht ist nicht mehr Teil der Ethik wie bei dem griechischen Philosophen Platon (428/427 – 348/347 v. Chr.). Sie ist eine Form des Könnens, nicht des Machens. Sie setzt eine Gleichwertigkeit der Kräfte voraus.
Bei Ungleichheit gilt die Macht des Stärkeren, wie es im Melierdialog heißt: „Die Starken tun, was sie wollen, und die Schwachen ertragen, was sie müssen.“ (Buch 5, Nr. 105, Abs. 2)
Tatsächlich haben die Athener die neutrale Insel Melos im Jahr 416 v. Chr. überfallen, alle Männer hingerichtet und alle Frauen und Kinder versklavt.
Macht-Fallen von Athen und Sparta
Die Macht-Fallen von Athen und Sparta sind Teile der Thukydides-Falle.
Die eine Machtfalle eröffnet sich für Athen gegenüber Sparta. Sparta ist der Feind, der sich von Athen bedroht fühlt und schließlich den Peloponnesischen Krieg auslöst; es herrscht ein Gleichgewicht der Kräfte.
Die andere Machtfalle für Athen sind die eigenen Bundesgenossen; sie scheinen noch gefährlicher als Sparta zu sein. Um sie nicht zur Machtfalle werden zu lassen, darf Athen im Bündnis die Gleichberechtigung der Partner nicht erlauben. Deshalb sieht es sich den Bundesgenossen gegenüber zur Tyrannis berechtigt, so als wären die Bundesgenossen seine Untertanen.
Methode der Aufzeichnungen
Die Methode der Aufzeichnungen macht Thukydides zum Begründer der kritischen Geschichtswissenschaft; denn er hat sich laut eigener Bekundung nicht damit zufriedengegeben, die Meinungen anderer zu referieren; sondern er hat mit Mühe daran gearbeitet, die Wahrheit zu erforschen. „So ist es denn mit dieser Arbeit nicht sowohl darauf abgesehen, den Lesern ein Stück, welches sie eine kurze Zeit unterhalten könne, als vielmehr ein Werk von beständiger Braubarkeit in die Hände zu liefern.“ (Buch 1, Nr. 22)
Auch geht es ihm darum, die Anlässe zum Krieg und die Ursache zum unvermeidbaren Krieg, die Thukydides-Falle, getrennt voneinander darzustellen. Dazu schildert er die militärisch und politisch taktischen und strategischen Züge der kriegerischen Auseinandersetzungen.
Abfederung der Unsicherheiten in den Aufzeichnungen
Die Abfederung der Unsicherheiten in den Aufzeichnungen von „Der peloponnesische Krieg“ basiert auf folgenden Buchausgaben:
Thukydides, „Der Peloponnesische Krieg“, Anaconda Verlag, München, 11.12.2024
- Übersetzung von „Thukydides. Geschichte des peloponnesischen Krieges“, Deutsch nach Johann David Heilmann aus dem Jahre 1760
- Bei dieser Ausgabe handelt es zwar verlegerisch um ein neues Buch, inhaltlich aber um eine fast 270 Jahre alte überarbeitete Übersetzung.
- Die Textgrundlage ist 1938 im Lambert Schneider Verlag, Berlin unter dem Titel „Thukydides, Geschichte des peloponnesischen Krieges“, Deutsch nach Joh. Dav. Heilmann“ erschienen.
Thucydidis, „De Bello Peloponnesiaco“, B. G. Teubner Verlag, Leipzig, 1892
- Es handelt sich um eine lateinisch kommentierte Fassung der Originalausgabe des griechischen Textes.
- Sie wurde mehrfach durchgesehen und eingeleitet von Gottfried Böhme.
Zusammenfassung zu „Thukydides“
Thukydides ist ein aus der Aristokratie Athens entstammender Politiker, Stratege und Geschichtsschreiber des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. Er wurde zwischenzeitlich verbannt, weil er angeblich als Stratege im Felde versagt habe. In der Verbannung hat er sein bedeutendes Werk über den Peloponnesischen Krieg verfasst. Es endet bereits mit der Darstellung des Jahres 411 v. Chr., obwohl der Krieg erst 404 v. Chr. zu Ende gegangen ist. Thukydides selbst hat das Ende des Krieges erlebt († 399/396 v. Chr.).
Zum Begründer der kritischen Geschichtswissenschaft wird er durch seine Erkenntnis, dass die fast 30 Jahre dauernde Auseinandersetzung zwischen dem etablierten Sparta und dem aufstrebenden Athen ein einziger Krieg und keine Ansammlung kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen ist.
Thukydides-Falle
Die Thukydides-Falle generalisiert die Gefahren aus dem Verhältnis von Sparta zu Athen und überträgt sie auf spätere geschichtliche Entwicklungen.
Thukydides-Falle – Beschreibung und Entdeckung
Die Thukydides-Falle ist eine ursprüngliche Beschreibung und eine aktuelle Entdeckung aus den Aufzeichnungen von Thukydides zum Peloponnesischen Krieg.
Beschreibung der Thukydides-Falle im Peloponnesischen Krieg
Zur Beschreibung der Thukydides-Falle dient ein Satz zu den Kriegsursachen zum Peloponnesischen Krieg (Buch 1, Nr. 22). Vollständig ins Deutsche übertragen, lautet er: „Die eigentlich wahre Veranlassung dazu, wovon man aber wenig hat kund werden lassen, war meines Erachtens keine andere als die, dass die Athener wegen ihrer heranwachsenden Macht den Lakedämoniern furchtbar geworden waren und sie dadurch diesen Krieg anzufangen veranlasst hatten.“ („Der Peloponnesische Krieg“, S. 24 f)
Entdeckung der Thukydides-Falle
Zu seiner Entdeckung der Thukydides-Falle zitiert der US-amerikanische Politologe Graham Allison (* 1940) eine verkürzte Übersetzung des griechischen Originals: „It was the rise of Athens and the fear that this instilled in Sparta that made war inevitable.“ („Es waren der Aufstieg von Athen und die dadurch in Sparta eingeflöste Furcht, dass ein Krieg unvermeidbar war.“) („Destined for War, Can America and China escape Thucydides´s Trap?”, S. XIV)
Generell definiert Allison: „Thucydides´s Trap refers to the natural, inevitable discombobulation that occurs when a rising power threatens to displace a ruling power.” („Die Thukydides-Falle bezieht sich auf die natürliche, unvermeidbare Verworrenheit, die entsteht, wenn eine aufstrebende Macht eine herrschende Macht zu verdrängen droht.“) (ebda. S. XVI)
Thukydides-Falle – vor ihrer Entdeckung
Die Thukydides-Falle war auch vor ihrer Entdeckung im Verhältnis der USA zu China nicht unbekannt. Allison hat sie erstmals 2012 in der „Financial Times“ erwähnt; Kissinger und Nye haben sie jeweils bereits 2011 inhaltlich beschrieben.
Beispiel von Henry Kissinger
Henry Kissinger (1923 – 2023), der ehemalige Außenminister der USA, beschreibt 2011 in seinem Epilog „Wiederholt sich die Geschichte?“ („China“, S. 527 ff) die Gefahren, die den USA aus einem aufstrebenden China drohen könnten.
Die Gefahren würden wahrscheinlich eher wirtschaftlich als militärisch sein. Die Regierung Obama sei es in den ersten beiden Jahren gelungen, die Situation einer „Thukydides Falle“ zu meiden. Damit die Falle nicht zuschnappt, schlägt Kissinger drei Beziehungsebenen auf dem Weg zu eine Pazifischen Gemeinschaft vor (ebda. S. 540 ff).
Beispiel von Joseph Nye
Joseph Nye (1937 – 2025), US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Politiker, beschreibt 2011 das Verhältnis zwischen den USA und China im Sinne einer Thukydides-Falle. Dazu greift er direkt auf „Peloponnesischer Krieg“ von Thukydides zu. Er sieht die befürchtete Machtverlagerung im wirtschaftlichen Niedergang der USA („Macht im 21. Jahrhundert“, S. 227 ff).
Ein Aufstreben von China beurteilt er nicht als Aufstieg, sondern als Comeback (ebda., S. 262). Würde das Bruttosozialprodukt (BIP) von China 2030 das BIP der USA überholen, seien beide Kräfte „allenfalls quantitativ, aber nicht qualitativ ebenbürtig“ (ebda., S. 263). Nye kommt zu dem Ergebnis, dass „Bündnisse aufrechtzuerhalten und Netzwerke zu bilden“, (ebda., S. 296) wichtige Dimensionen der USA würden. So könnten sie wieder eine „intelligente Macht“ werden.
Die Unvermeidbarkeit der Thukydides-Falle
Die Unvermeidbarkeit ist ein oft in der Literatur zitiertes Attribut der Thukydides-Falle.
Allison schiebt sie einer Fehlinterpretation des Satzes von Thukydides zu: ( „ …, war meines Erachtens keine andere als die, dass die Athener wegen ihrer heranwachsenden Macht den Lakedämoniern furchtbar geworden waren und sie dadurch diesen Krieg anzufangen veranlasst hatten.“ (Thucydidis, Buch 1, Nr. 23; Übersetzung, „Der Peloponnesische Krieg“, S. 24 f)
Überprüfung von „Unvermeidbarkeit“ bei Thukydides durch Allison
Die Überprüfung von „Unvermeidbarkeit“ bei Thukydides durch Allison führt zur Zurückweisung des Begriffs. Er sei eine übertriebene Kritik an der Thukydides-Falle.
Thukydides behauptet nämlich nicht die Unvermeidbarkeit der Thukydides-Falle: „Thucydides´s use of the word „inevitable“ is clearly meant al hyperbole.” (“Thukydides´s Gebrauch des Wortes „unvermeidbar“ ist eindeutig als Übertreibung gemeint.“) (ebda. S. 287) Deshalb sei jede Kritik ein „Straw Man“ (Strohmann).
Letzten Aufschluss gibt allerdings nur der Blick in den Originaltext von Thukydides.
Vorkommen des Begriffs „unvermeidbar“ bei Thukydides
Das Vorkommen des Begriffs „unvermeidbar“ bei Thukydides ist im Originaltext nicht auszumachen.
Ersatz für „Unvermeidbarkeit“ der Thukydides-Falle bei Thukydides
Ein Ersatz für „Unvermeidbarkeit“ der Thukydides-Falle bei Thukydides lässt sich angesichts des Fehlens nur durch eine kreative Interpretation finden.
Er schreibt vom „so großen Krieg“ und „wie ich meine“, dass „die erstarkenden Athener und die Furcht, die sie den Lakedämoniern damit bereiteten, sie zum Kriegführen gezwungen hätten“. (eigene Übersetzung aus dem griechischen Original, „Thucydidis“, Buch 1, Nr. 23, S. 14f)
Die Thukydides-Falle ist also bei Thukydides auf den Peloponnesischen Krieg beschränkt. Außerdem schnappt sie seiner Meinung nach nur aus dem inneren Zwang zur Furcht der Spartaner zu. Da Furcht ein emotionales Entscheidungskriterium ist, lassen die Spartaner die Thukydides-Falle aus dem emotionalen Gefühl der Furcht und nicht unvermeidbar zuschnappen.
Die Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle
Die Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle erläutert Allison an 16 historischen Beispielen und zwölf Hinweisen. Die Hinweise entnimmt er den 16 Beispielen.
Die 16 historischen Beispiele zur Vermeidbarkeit
Die 16 Beispiele zur Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle dienen auch der Erläuterung an sich (ebda., S. 42, 244):
Ende 15. Jh. Portugal gegen Spanien – kein Krieg
Anfang 16. Jh. Königreich Frankreich gegen Habsburg – Krieg
16./17. Jh. Habsburg gegen Osmanisches Reich – Krieg
Anfang 17. Jh. Habsburg gegen Schweden – Krieg
Mitte/Ende 17. Jh. Niederländische Republik gegen Königreich England – Krieg
Ende 17./Mitte 18. Jh. Königreich Frankreich gegen Königreich GB – Krieg
Ende 18./Anfang 19. Jh. Vereinigtes Königreich gegen Frankreich – Krieg
Mitte 19. Jh. Frankreich, Vereinigtes Königreich gegen Russisches Reich – Krieg
Mitte 19. Jh. Frankreich gegen Deutsches Reich – Krieg
Ende 19. /Anfang 20. Jh. China, Russland gegen Japan – Krieg
Anfang 20. Jh. Vereinigtes Königreich gegen USA – kein Krieg
Anfang 20. Jh. England, Frankreich und Russland gegen Deutsches Reich – Krieg
Mitte 20. Jh. Sowjetunion, Frankreich, England gegen NS-Deutschland – Krieg
Mitte 20. Jh. USA gegen Japanisches Königreich – Krieg
1940er – 1980er Jahre USA gegen Sowjetunion – kein Krieg
1990 bis heute England, Frankreich gegen Vereinigtes Deutschland – kein Krieg
In den zwölf Beispielen, die zum Krieg geführt haben, stößt Allisons Zuweisung der Thukydides-Falle auf Kritik. Nach Nye haben in einigen Fällen andere Gründe als die Thukydides-Falle zu den Kriegen geführt. Laut dem US-amerikanischen Politologen Hal Brands (* 1983) hat in vielen Fällen die aufstrebende Macht den Krieg ausgelöst, als ihr Aufstieg zum Erliegen gekommen war.
Zwölf Hinweise von Allison zur Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle
Zwölf Hinweise von Allison zur Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle sind den 16 historischen Beispiele entnommen. (ebda., „Twelve Clues For Peace“, S. 187 ff)
- Höhere Autoritäten können helfen, die Rivalität ohne Krieg auszuhebeln.
- Staaten können in größere wirtschaftliche, politische und Sicherheitsinstitutionen eingebunden werden, die historisch „normales“ Verhalten erzwingen.
- Hinterhältige Staatsmänner schaffen eine Tugend der Notwendigkeit, indem sie Bedürfnisse und Wünsche voneinander abspalten.
- Die zeitliche Koordinierung ist entscheidend.
- Kulturelle Gemeinsamkeiten können helfen, einem Konflikt vorzubeugen.
- Es gibt nichts Neues unter der Sonne – außer Atomwaffen.
- Die gegenseitig (USA/Sowjetunion) angedrohte Zerstörung macht den totalen Krieg zum Wahnsinn.
- Ein heißer Krieg zwischen Atomsupermächten ist daher keine vertretbare Option mehr.
- Führer von Atomsupermächten müssen dennoch darauf vorbereitet sein, einen Krieg zu riskieren, den sie nicht gewinnen können.
- Die wirtschaftliche gegenseitige Abhängigkeit erhöht die Kosten und senkt somit die Wahrscheinlichkeit des Kriegs.
- Allianzen können eine tödliche Anziehungskraft ausüben.
- Die heimische Leistung ist entscheidend.
Diese Hinweise begründen zwar die Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle nicht; aber sie können die herrschende Macht veranlassen, es sich gut zu überlegen, ob sie den Krieg gegen die aufstrebende Macht wirklich beginnen soll.
Die Lehren aus der Thukydides-Falle
Die Lehren aus der Thukydides-Falle beziehen sich vorrangig auf deren Vermeidbarkeit, nicht auf die Falle selbst. Zur Vermeidung sind vorbeugende Maßnahme erforderlich; bei der Falle selbst geht es um Strategie.
Die Vorbeugung ist ein schwer durchschaubarer Prozess, der vor allem den Willen zur Verhinderung benötigt. „To escape Thucydides´s Trap, we must be willing to think the unthinkable.” („Um der Thukydides- Falle zu entkommen, müssen wir Willens sein, das Undenkbare zu denken.“) (Allison, ebda., S. XX)
In Anlehnung an die von Allison genannten historischen Beispiele hofft Henry Kissinger, dass die Thukjydides- Falle bei den USA und China nicht zuschnappt: „Thucydides´s Trap identifies a cardinal challenge to world order: the impact of a rising power on a ruling power … I can only hope that the US-China relationship becomes the fifth case to resolve itself peacefully, rather than the 13th to result in war.” („Die Thukydides-Falle identifiziert eine gewaltige Herausforderung der Welt-Ordnung: den Anschlag einer aufstrebenden Macht auf eine herrschende Macht … Ich kann nur hoffen, dass die US-China-Beziehung der fünfte Fall wird, sich selbst friedlich zu bereinigen, anstatt der 13., aus dem ein Krieg entsteht.“
Zusammenfassung zu „Thukydides-Falle“
Die Quelle zur Thukydides-Falle ist ein Satz aus den Einführungen zu den Darstellungen vom Peloponnesischen Krieg. Er beschreibt die Furcht des etablierten Macht Sparta vor dem aufstrebenden Athen, die Sparta zur Kriegserklärung zwingt. Auch ohne den Begriff der Thukydides-Falle hat es bereits ähnliche Beurteilungen historischer Verhältnisse gegeben.
Anhand von 16 historischen Beispielen, von denen zwölf in Kriege münden, erläutert Allison die Thukydides-Falle. Ihnen entnimmt er zwölf Hinweise an die etablierte Macht, nach denen sie die Thukydides-Falle vermeiden kann. Daraus ergeben sich weitere Lehren aus der Thukydides-Falle.
Aktualität der Thukydides-Falle
Die Aktualität der Thukydides-Falle ergibt sich daraus, dass die USA und China ihre Anwärter sind. Außerdem hält die Lektüre der Aufzeichnungen von Thukydides zum Peloponnesischen Krieg Hinweise zu deren Vermeidbarkeit bereit.
USA und China – aktuelle Anwärter auf eine Thukydides-Falle
Die USA und China sind aktuelle Anwärter auf eine Thukydides-Falle. Deshalb beschäftigt sich Allison in Teil Eins von „Destined For War“ mit dem Aufstieg von China. So aktuell und beachtenswert die Ausführungen sind, so täuschen sie nicht über ihre Wandelbarkeit hinweg. Nach Obamas intellektueller Auseinandersetzung mit der Thukydides-Falle hat sich das politische Umfeld geändert. Mit Trump und Xi sind inzwischen zwei machtbewusste Männer an der jeweiligen Macht, die Falle-gefährdet sind (ebda., S. IX).
Anlässe zur Lektüre von „Peloponnesischer Krieg“
Anlässe zur Lektüre von „Peloponnesischer Krieg“ von Thukydides sind folgende:
- Pressemitteilung des damals amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz von Anfang Januar 2025: Scholz habe zu Weihnachten 2024 Thukydides gelesen, weil der Krieg zwischen Sparta und Athen gewisse Parallelen zu dem gegenwärtigen Verhältnis der USA zu China habe.
- Diskussion zwischen Obama und Xi: Dieser Anlass liegt etwas länger zurück, ist aber dennoch aktuell. Der US-amerikanische Präsident Barrack Obama und der chinesische Staatspräsident Xi Jinping haben 2015 die Lehren aus den Aufzeichnungen von Thukydides diskutiert (Graham Allison, „Destined for War“, S. VIII).
- Pflichtlektüre: Dritter Anlass ist die Pflichtlektüre von Thukydides, „Der peloponnesische Krieg“ in einer Reihe von Offiziersschulen und Militärakademien.
Call-to-Action
Die Thukydides-Falle ist ein politisches Managementproblem; deshalb wird zur weiteren Lektüre auf den Beitrag
verwiesen.
Fazit
Die Biografie von Thukydides, nach dem die Thukydides-Falle benannt ist, liegt weitgehend im Dunkeln. Er war ein Athener Aristokrat, der als Stratege im Peloponnesischen Krieg tätig war. Er wurde aus uneinsichtigen Gründen verbannt, aber nach Kriegsende rehabilitiert.
Thukydides ist Autor von Aufzeichnungen über den Peloponnesischen Krieg. Sie beginnen ohne Titel und enden bereits 411 v. Chr., obwohl der Krieg erst 404 v. Chr. durch den Fall Athens sein Ende findet. Thukydides selbst stirbt 399/396 v. Chr. Die Methode der Aufzeichnungen weist Thukydides als Begründer der kritischen Geschichtswissenschaft ausweist.
Die Thukydides-Falle besagt, dass sich eine etablierte Macht aus Furcht vor einer aufstrebenden Macht zum Krieg gezwungen sieht. Kern ist eine Stelle aus den Einführungen zu den Kriegsursachen bei Thukydides, die Graham Allison gefunden hat. Inhaltlich ist sie bereits vor ihrer Entdeckung beschrieben worden. Die Vermeidbarkeit der Thukydides-Falle ist ein im Originaltext von Thukydides nicht erwähntes Attribut. Allison hat sie an 16 historischen Beispielen nachgewiesen; aus ihnen hat er zwölf Hinweise auf die Vermeidung entwickelt.
Am 28.07.2025 erscheint der Beitrag „Die Thukydides-Falle und der Lachender Dritte“. Dort wird beschrieben, wie die an den Peloponnesischen Krieg anschließende Zeit die Thukydides-Falle erweitert und einen unerwarteten Lachenden Dritten ermöglicht hat.