Ein Mann balanciert eine Waage auf dem Kopf, in deren Schalen sich auf der einen Seite ein Herz und auf der anderen Seite ein Gehirn die Waage halten.

Compassionate Leadership ist ein mitfühlendes Führungsverhalten. Zwar zählt sie nicht zu den klassischen Führungsstilen; sie hat sich aber vor einigen Jahren als eine Führungsmethode mit Herz und Verstand entwickelt. Das Mitfühlen mit den Geführten ist ihr Erkennungszeichen, das weit über die Compassion hinausgeht. Empathie ist das richtige Attribut der Leadership, weil sie nämlich Kognition benötigt. Doch das einfühlende Verstehen der Empathie bedarf auch der Abgrenzung zwischen Leader und seinen Untergebenen.

Compassionate Leadership

Die Compassionate Leadership bedarf einer umfassenden Darstellung.

Compassionate Leadership – Übersetzungen

Die wörtliche Übersetzung von „Compassionate Leadership“ lautet „mitfühlende Führung“.

Daneben gibt es zwei freiere Übersetzungen, nämlich „Führung mit Herz und Verstand“ sowie die biologisch geprägte Variante „Führung mit Herz und Hirn“. Beide freieren Übersetzungen sind jedoch ungenau, wenn sie auch umgangssprachlichen Bildern entsprechen. Mitgefühl findet im übertragenen Sinne im Herzen statt, wird aber nicht näher definiert.

Doch „Verstand“ und „Hirn“ sind nicht die Sitze vom Mitgefühl; sondern diese Bezeichnungen sind Assoziationen zum Leadership. Sie nennen nämlich den Verstand als die Fähigkeit zu denken und seinen angeblich biologischen Ort. Sie unterstellen so der Führung rationales Handeln.

Compassion der Leadership

Compassion der Leadership richtet die Führung auf das Mitfühlen der Emotionen aus.

Compassion – Übersetzung

Die Übersetzung von Compassion greift auf das Lateinische zurück. Das lateinische Wort compassio heißt Mitgefühl, Mitleid, Sympathie. Von ihm ist compassion als englisches Wort entlehnt. Die Übersetzungsvariante Sympathie ist nicht entlehnt und hat sich als psychologischer Eigenbegriff verselbstständigt.

Compassion – Interpretation

Die Interpretation von Compassion ergänzt die Übersetzung. Compassion bedeutet zwar Mitgefühl und Mitleid, bezeichnet aber eher die Anteilnahme am Leid anderer. Die Compassion ist weniger kognitiv, sondern emotional. Sie ist ein „Mitempfinden mit der Not eines anderen (; dass) Sie zu konkreter Hilfe veranlasst.“  So beschreibt Robert Sapolsky die Compassion („Gewalt und Mitgefühl, Die Biologie des menschlichen Verhaltens“, S. 675). Die Compassion bewirkt beim Helfer eine prosoziale Motivation, ohne dass er sich am Leid des anderen beteiligt.

Kritik an der Interpretation von Compassion

Eine Kritik an der Interpretation von Compassion ist erforderlich; denn Leadership bedeutet Führung, und Compassion heißt Mitempfinden; aber Compassionate Leadership ist keine Führung nur aus Mitempfinden. Zwar ist Compassionate Leadership ein gängiger Fachbegriff der Führungspsychologie, einem Teilgebiet der Wirtschaftspsychologie; aber er ist ungenau. Die Ungenauigkeit ist zum Teil daraus entstanden, dass der Fachbegriff sich dem englischen Wort Compassion für Mitgefühl angepasst hat. Compassionate Leadership bedarf daher der Präzisierung.

Die Compassion der Leadership ist durch Übersetzung und Interpretation nicht adäquat darzustellen; denn „compassionate“ heißt zwar „mitfühlend“, ist aber als Teil eines Fachbegriffs ungenau.

Empathie der Leadership

Empathie der Leadership ist ebenfalls wie Compassion der Leadership ein Begriff der Psychologie für Einfühlungsvermögen.

Empathie – Übersetzung

Das Wort Empathie ist ein Lehnwort aus dem Griechischen. Empatheia setzt sich aus den Wörtern Pathos für Leid, Leidenschaft und der Vorsilbe em zusammen. Em bedeutet eine Verstärkung. So heißt Empathie leidenschaftliche Erregung.

Empathie – Interpretation

Die Interpretation von Empathie ist erforderlich, weil die Übersetzung nur die sprachliche Grundlage liefert. Die Übersetzung unterscheidet nicht zwischen der Selbstbespiegelung und der Wahrnehmung fremder Emotionen. Umgangssprache und Fachsprache haben die Bedeutung der Empathie gewandelt. Insbesondere die Führungspsychologie hat den Begriff weiter differenziert und auch gegenüber Compassion abgegrenzt.

Empathie – Grundlegende Interpretation

Die grundlegende Interpretation von Empathie fasst einerseits die wichtigsten Aspekte zusammen, andererseits dient sie der Abgrenzung zu Compassion, Mitgefühl, Mitleid oder auch Sympathie. So beschreibt Empathie sowohl Fähigkeit als auch Bereitschaft, sich in Emotionen anderer Leute einzufühlen. „Das ist übrigens eine grundlegende Fähigkeit, die sich schon früh im Leben entwickelt.“, so der US-amerikanische Psychiater Otto F. Kernberg in seiner Befragung durch Manfred Lütz („Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?“, S.49) Das Einfühlungsvermögen der Empathie in das Leid Fremder kann sogar so intensiv werden, dass der Empathische von seinem Mitgefühl überfordert wird.

Kognition der Empathie

Die Kognition der Empathie ist eine Unterscheidung zu Mitgefühl oder Compassion. Der Empathische begreift die Ursachen für die Zwangssituation des anderen. Er vermag sich die fremde Perspektive zu eigen zu machen und sich intellektuell in dessen Lage hineinzuversetzen. Dieser kognitive Aspekt löst nicht automatisch die Bereitschaft aus, dass der Empathische dem anderen helfen will. Entmutigung oder Hilflosigkeit können sogar Ergebnisse des kognitiven Prozesses sein.

Die Empathie unterscheidet sich von Compassion durch das intellektuelle Verstehen der Notsituation des Betroffenen. Doch diese Kognition führt nicht automatisch zur Hilfsbereitschaft.

Theory of Mind

Die Theory of Mind sei nur an Rande erwähnt. Sie gehört zur Entwicklungspsychologie und ist mit der Empathie zur Kognition verbunden.

Der Begriff „Theory of Mind” bezeichnet die Fähigkeit, sich vom inneren Zustand anderer Personen ein klares Bild verschaffen zu können. Gefühle, Absichten, Meinungen, Erwartungen oder Bedürfnisse sind zu erkennen und perspektivisch zu beurteilen. Dieses Verständnis beruht zunächst auf der Kompetenz, die eigenen Emotionen und Verhaltensweisen zu interpretieren. Daraus entsteht die Möglichkeit, die Sicht des Gegenübers anzunehmen und sein Verhalten vorherzusagen.

Die Theory of Mind beschreibt die Fähigkeit zur richtigen auch emotionsunabhängigen Interpretation des eigenen und des fremden Verhaltens. Die Empathie dagegen ist das Verständnis von einer fremden Person, das durch deren eigene Emotion geleitet wird.

Die Theory of Mind und die Empathie sind Teilbereiche der sozialen Kognition. Ihre Grundlage bilden neurobiologische Forschungen zur Funktion des Gehirns bei Rhesusaffen.

Empathische Vermutung

Die empathische Vermutung (Tim Desmond, „Shit Happens, Anleitung zum Menschsein in einer beschissenen Welt“, S. 85) ist Teil der empathischen Kognition.

Aus der Wertschätzung des Betroffenen werden Erkenntnisse bezogen, die ihm möglichst neutral mitzuteilen sind. Sie sind kognitiv erworbenes Wissen, das eine empathische Basis hat.

Natürlich ist und bleibt die empathische Vermutung nur eine Vermutung, also ungesicherte Erkenntnis. Deshalb ist sie vorsichtig zu kommunizieren; denn eine Täuschung lässt sich nicht ausschließen, so dass sie im negativen Fall eine Verletzung des Betroffenen wäre.

Mit Bedacht angewandt, ist die empathische Vermutung eine therapeutische Methode, Störungen zu beheben. Sie eignet sich auch für den Einsatz durch die Compassionate Leadership, das Well Being im Unternehmen zu gewährleisten.

Einfühlendes Verstehen

Einfühlendes Verstehen nennt Carl R. Rogers  die Empathie, die für ihn zugleich die zweite Bedingung für eine therapeutische Beziehung zu seinem Klienten ist („Therapeut und Klient“, S. 216 f). Es setzt ein konzentriertes Einfühlungsvermögen des Therapeuten in die Welt des Klienten voraus. Zum Verstehen gehört ein kognitives Durchdringen dieser Welt. Aus beidem entsteht eine Wertschätzung des Klienten, die ihm das Gefühl vermittelt, der Wertschätzung wert zu sein.

Einschränkend gesteht Rogers ein, dass es schwer bis unmöglich ist, das einfühlende Verstehen während der Therapie durchzuhalten.

Mit der Generalisierung seiner Ausführungen zur Empathie kommt Rogers zu dem Schluss, dass Führungskräften das einfühlende Verstehen in Sensitivitätstrainings zu vermitteln ist.

Mit seinen Gedanken zum einfühlenden Verstehen legt Roger bereits psychologische  Grundlagen, die für die Compassionate Leadership von Bedeutung sein werden.

Abgrenzung der Empathie

Die Abgrenzung der Empathie ist oft ein Führungsproblem. Jede Führungskraft muss nämlich ihr eigenes Mitgefühl gegen das Einfühlen in die Not des Geführten abgrenzen.

Dieses Phänomen beschreibt Bernadette Frech in „Offenheit ist für Männer viel gefährlicher als für Frauen“. (manager magazin, April 2023, S. 129 ff) Sie ist CEO und Miteigentümerin der Online-Plattform instahelp. Eine Führungskraft erhält die Information, dass ein Mitarbeiter wegen seiner Scheidung beruflich nicht leistungsfähig ist. Frech benennt zwei Sorten von Leadern: „Die einen haben Probleme, mit privaten Informationen und Gefühlen umzugehen. Die anderen sind äußerst mitfühlend, haben aber dadurch ein Abgrenzungsproblem.“

Nach den Erfahrungen von Frech hätten gerade Frauen in Führungspositionen mit Abgrenzungsproblemen zu kämpfen. Männer dagegen übertrieben ihre Empathie über das für sie gesunde Maß hinaus. Zur Behebung der Abgrenzungsproblematik bei der Empathie verweist Frech an die Compassionate Leadership.

Die Abgrenzung der Empathie ist, um mit Rogers zusprechen, durch Sensitivitätstrainings zu vermitteln; denn für den Erfolg einer Therapie „scheinen drei Einstellungen oder Bedingungen ausschlaggebend zu sein: …3. ein sensibles und präzises einfühlendes Verstehen des Klienten seitens des Therapeuten.“ (ebda., S.23) Was für die Therapie gilt, trifft auch für die Leadership zu.

Die Schulung der Compassionate Leadership bereitet die Führungskräfte vor, das Well Being im Unternehmen zu unterstützen. Zu beachten ist, dass Rogers Mitbegründer der Humanistischen Psychologie, also im Grunde der Positiven Psychologie, ist. Deren Zentralbergriff ist das Well Being.

Die Abgrenzung der Empathie ist eine Voraussetzung der Führung. Männer und Frauen in Führungspositionen erfüllen sie unterschiedlich. Deshalb ist sie in Sensitivitätstrainings zu schulen.

Zusammenfassung zur Empathie der Leadership

Die Empathie ist der psychologische Begriff für das Einfühlungsvermögen. Für die Leadership ist er gegen die Compassion abzugrenzen; denn er enthält Aspekte der Kognition.  Eine empathische Führungskraft muss sich intellektuell in die Befindlichkeiten ihrer Untergebenen einfühlen können. In dem Prozess des Einfühlens hat sie Erkenntnisse von Vermutungen zu unterscheiden. Zudem ist zu akzeptieren, dass der Vorgang des einfühlenden Verstehens konzentriert nicht durchzuhalten ist. Daneben bedarf die Empathie der Abgrenzung des eigenen Mitgefühls des Leaders gegen die Notsituation des Geführten. Deshalb ist eine Schulung empfehlenswert, die zur Compassionate Leadership ausbildet. Nach einem erfolgreichen Training kann der Leader zum Well Being im Unternehmen beitragen.

Call-to-Action

Zur weiteren Lektüre wird auf die Blogbeiträge

sowie auf den Beraterbrief „Emotional intelligente Führung“ Juni 2007 (www.kettembeil.de) verwiesen.

Fazit

Die Compassionate Leadership ist ein Begriff der Führungspsychologie. Er bedeutet „Führen mit Herz und Verstand“. Doch dieser sprichwörtliche Ausdruck trifft den Begriff ungenau. „Compassion“ bedeutet zwar „Mitgefühl“, ist aber eine nur umgangssprachliche englische Darstellung. So geben weder die Übersetzung noch die Interpretation von compassion diesen Teil des Fachbegriffs Compassionate Leadership exakt wieder.

Deshalb ist auf die Empathie zurückzugreifen: denn es gibt gute Gründe für einfühlsames Führen als Reaktion auf die Psychologisierung des Arbeitslebens und des gesellschaftlichen Umfeldes. Die Empathie liefert nämlich die erforderliche Abgrenzung durch ihren Bezug zur sozialen Kognition.

Die emphatische Vermutung ist eine Sonderform, die der vorsichtigen Verwendung bedarf. Empathie ist nicht nur kognitives Mitgefühl, sondern auch ein konzentriertes Einfühlungsvermögen. Bei ihrer Anwendung hat sich gezeigt, dass Empathie und nicht nur Compassion zur einfühlsamen Führung benötigt werden; denn Empathie erfordert das intellektuelle Nachvollziehen von Notsituationen. Dieses zusätzliche kognitive Element stellt die Rationalität bei der Leadership des betroffenen Mitarbeiters sicher.

Zur Bereicherung der Leadership ist das Einfühlungsvermögen von Führungskräften sensitiv zu trainieren; denn unkontrollierte Empathie kann bei den Führungskräften Abhängigkeiten von ihrem eigenen Mitleid mit den Untergebenen auslösen. Dadurch wäre neben der Führungssituation auch ein Well Being im Unternehmen gefährdet. Die Compassionate Leadership muss sich noch mehr als feste empathische Größe unter den Führungsmethoden im psychologisierenden Arbeitsleben etablieren.

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