Ein junger Mann betrachtet sich wohlwollend im Spiegel und zeigt begeistert auf sich.

Narzissmus im Recruiting ist ein wichtiges Thema; denn oft befinden sich, vom Recruiter unbemerkt, Narzissten in der Personalauswahl. Narzissten sind eine Gefahr für jedes Unternehmen. Deshalb sind sie am besten gar nicht erst einzustellen, sondern rechtzeitig aus dem Recruiting-Prozess zu entfernen. Allerdings ist Narzissmus grundsätzlich schwer zu entdecken. Sogar der eigene Narzissmus erschließt sich dem Narzissten selbst nicht unbedingt. Desto schwieriger ist diese Erkenntnis für einen Fremden, also auch für jeden Recruiter. Folglich sind die Recruiter für den Narzissmus im Recruiting zu sensibilisieren.

Narcissus und Echo

„Narcissus und Echo“ lautet eine Metamorphose von Publius Ovidius Naso. Ihr verdankt der psychoanalytische Begriff „Narzissmus“  seinen Namen. Sie ist die erste, aber nicht die ursprüngliche Fassung des ihr zugrunde liegenden Mythos.

Narcissus

Narcissus war ein schöner Jüngling, der als 16jähriger ein Objekt der Begierde für beide Geschlechter war, so auch der Nymphe Echo. Sie war von den Göttern mit einem Gedächtnisverlust bestraft worden. Deshalb konnte sie andere nicht aktiv ansprechen, sondern nur deren letztes Wort mehrmals wiederholen. Weder trotz noch wegen dieses Handicaps weist der Jüngling Echo wie alle anderen zurück, die um ihn buhlen.

Spiegelbild

Schließlich lagert Narcissus, von der Jagd erschöpft, an einem verschwiegenen Quell, in dem er sich spiegelt. Er verliebt sich in sein Spiegelbild, in dem er sich erst später selbst erkennt. Damit ist sein Ende gekommen, wie der Seher vorhergesagt hatte: „si se non noverit“; wenn er sich nämlich in seinem Spiegelbild nicht erkennen wird, wird er lange leben. (Narcissus und Echo, Zeile 390).

Narzisse

Über seinen Tod sind viele Jünglinge und Nymphen, aber auch Echo betrübt. „Doch war nirgends der Leib; für den Leib ein gelbliches Blümlein fanden sie, rings um den Kelch weiß- schimmerndeBlätter gegürtet.“ (Zeile 505ff). Sie fanden eine Narzisse.

Urheberschaft für den Begriff „Narzissmus“ in der Psychoanalyse

Die Urheberschaft für den Begriff „Narzissmus“ in der Psychoanalyse reklamiert Sigmund Freund nicht für sich. Den Narzissmus in der Psychoanalyse bekannt gemacht zu haben, ist allerdings sein Verdienst.

Erstmalige Verwendung

Die erstmalige Verwendung des Begriffs schreibt Freud dem Psychiater und Kriminologen Paul Näcke zu (Zur Einführung des Narzissmus, 1914, Sigmund Freud, Studienausgabe, Bd. III, Seite 41).

Diese Zuschreibung korrigierte Freud in seiner III. Abhandlung zur Sexualtheorie und nannte in einem Zusatz von 1920 den britischen Sexualforscher Henry Havelock Ellis als den Urheber.

Dazu nahm Ellis 1927 ausführlich Stellung und erklärte sich und Näcke zu gleichberechtigten Erfindern des Begriffs Narzissmus (Sigmund Freud, Studienausgabe, Bd. V, Seite 122).

Narzissmus statt Narzissismus

Außerdem präzisierte Freud seine Ausdrucksweise: „Man hat es als Narzissismus bezeichnet; ich ziehe den vielleicht minder korrekten, aber kürzeren weniger übelklingenden Namen Narzißmus vor.“ (Sigmund Freud, Studienausgabe, Bd. VII, Über den paranoischen Mechanismus, Seite 184).

Narzissmus in der Psychoanalyse

Die Entwicklung des Narzissmus in der Psychoanalyse nahm Fahrt auf, als Freud den Narzissmus in seiner Libido-Theorie verwandte. Er unterschied zwischen einem primären und einem sekundären Narzissmus. Der primäre Narzissmus entsteht in der oralen Phase der frühen Kindheit. Der sekundäre Narzissmus entwickelt sich erst in den späteren Lebensphasen. Er ist im Gegensatz zum primären Narzissmus empirisch belegbar. Deshalb ist heute meist vom sekundären Narzissmus die Rede.

Allerdings verläuft die Wandlung des Narzissmus freudianischer Prägung in die Gegenwart entlang einer Fülle von Interpretationen und Theorien. Sie ist durch die Namen Lou Andreas-Salomé, Sándor Ferenczi, Melanie KleinHerbert Rosenfeld, Heinz Hartmann, Heinz Kohut  und Otto F. Kernberg nur unvollständig gekennzeichnet. Sie alle haben zur Behandlung pathologischer Narzissten durch die Psychotherapie maßgeblich beigetragen.

Merkmale des Narzissmus

Die Merkmale des Narzissmus lassen sich am besten an den Charaktereigenschaften der Narzissten beschreiben. Wie Narcissus sind sie in sich selbst verliebt. Sie beschränken sich nicht nur auf ihr Spiegelbild, sondern fordern auch von anderen Leuten Beachtung ihrer Person, Anerkennung und Bewunderung. Sie gehen von der eigenen Omnipotenz aus, die sie zu besonderen Leistungen befähigt. Untergebene oder Abhängige drangsalieren sie so lange, bis sie in bedingungslose Bewunderung ausbrechen.

Menschenfischer

Narzissten sind „Menschenfischer“, die andere in ihren Bann ziehen. Sie fischen besonders Leute, die sie zum Erreichen ihrer narzisstischen Ziele benutzen oder ausbeuten können. Sind diese Personen nicht mehr von Nutzen oder von Bedeutung, werden sie ignoriert oder mit Ächtung bestraft. Geben sie aus eigenem Antrieb die Beziehung zum Narzissten auf, werden sie sogar „mit Feuer und Schwert“ verfolgt.

Neid

Der Neid auf andere ist ein typisches Merkmal des Narzissmus. Die Narzissten können nicht vertragen, wenn andere besser als sie sind. Aber der narzisstische Neid wirkt nicht nur auf die Narzissten zurück, sondern sucht auch nach Wegen, den Beneideten zu schaden.

Gier nach Macht

Alle Merkmale des Narzissmus lassen sich auch als Symptome der Gier nach Macht und deren Ausübung interpretieren. Auf diese Verbindung in der Politik am Beispiel von Helmut Kohl und anderen hat Hans-Jürgen Wirth in „Narzissmus und Macht“ hingewiesen.

Abstufungen des Narzissmus

Die Abstufungen des Narzissmus helfen, die verschiedenen narzisstischen Persönlichkeiten gegeneinander abzugrenzen.

Oberste Stufe

Auf der obersten Stufe stehen die pathologischen Narzissten. Sie sind Patienten, deren Selbstwertgefühl nachhaltig gestört ist. Ebenfalls liegen bestimmte Störungen der Objektbeziehungen vor, die auf ihrer Selbstbezogenheit im Umgang mit ihren Mitmenschen beruhen.

Die pathologischen Narzissten fordern krankhaft eine Bewunderung ein, die zugleich eine Empathie für andere stark beeinträchtigt, wenn nicht ausschließt. Dennoch sind sie in ihr Umfeld bisweilen so gut integriert, dass ihnen selbst ihre narzisstische Störung nicht auffällt.

Unterste Stufe

Auf der untersten Stufe sind die Normalen angesiedelt, die eine kuriose Selbstbeweihräucherung an den Tag legen. Auch mangelt es ihnen nicht an Arroganz gegenüber ihrem Umfeld. Sie gelten als voll integriert, werden aber von ihren Mitmenschen oft als „Spinner“ abgetan.

Doch auch dieses Schimpfwort macht aus Gesunden keine Kranken. Sie bleiben gesund. „Die Unart mancher Psychoexperten, Diagnosen auf Leute anzuwenden, die bei ihnen gar keinen Krankenschein abgegeben haben – insbesondere auf Kollegen – ist ein Missbrauch von Diagnosen. Es muss der Grundsatz gelten, dass ein Mensch im Zweifel gesund ist.“ (Manfred Lütz, Neue Irre, Seite 34)

Zwischenstufe

Die Zwischenstufe der Narzissten ist für den Narzissmus im Recruiting interessant. Sie enthält Berufsbilder, die einen „gesunden“ Narzissmus beinhalten. So ist Eitelkeit Schauspielern nicht fremd; Starallüren werden geradezu erwartet.

Im Geschäftsleben sind Geschäftsführer, Verkäufer oder andere exponiert Tätige typisch berufliche Narzissten. Im Recruiting ist darauf zu achten, dass der Narzissmus den Rahmen des Erträglichen im Job nicht übersteigt.

Verwischen der Stufen

Für ein Verwischen der Stufen sorgt allerdings der allgemeine Sprachgebrauch. Er bezeichnet schon Normale als Narzissten, die durchaus in der Norm liegen, aber den Vorstellungen einzelner widersprechen. Häufig stellt sich in solchen Situationen die Frage, wer eigentlich der Normale ist.

Um ein Verwischen der Stufen zu vermeiden, ist der Begriff des Narzissten dem pathologischen Narzissten vorbehalten. Im Recruiting ist es gestattet, den Begriff des Narzissten für die Zwischenstufe ausschließlich situativ zu verwenden.

Damit kann narzisstisches Verhalten von Bewerbern im Recruiting gezielt markiert werden. Ein Beispiel liegt vor, wenn das vertretbare Maß an Narzissmus für die ausgeschriebene Stelle überschritten ist.

Typologie des Narzissmus

Für die Erkennbarkeit des Narzissmus hat Otto Kernberg „Hauptkennzeichen“ definiert: „Die Hauptkennzeichen narzißtischer Persönlichkeiten sind also Größenideen, eine extrem egozentrische Einstellung und ein auffälliger Mangel an Einfühlung und Interesse für ihre Mitmenschen, so sehr sie doch andererseits nach deren Bewunderung und Anerkennung gieren. Sie empfinden starken Neid auf andere, die etwas haben, was sie nicht haben, und sei es einfach Freude am Leben.“ (Borderline Störungen und pathologischer Narzißmus, Seite 262 ff).

Theoretische Typologie des Narzissmus

An echten Gefühlen wie Traurigkeit fehlt es den Narzissten. „Das Unvermögen zu echten depressiven Reaktionen ist ein Grundzug narzißtischer Persönlichkeiten. Von anderen verlassen oder enttäuscht, können sie wohl in einen Zustand geraten, der äußerlich wie eine Depression erscheint; bei genauerer Untersuchung erweist sich jedoch, dass Wut, Empörung und Rachebedürfnisse dabei die Hauptrolle spielen … .“ (Borderline Störungen und pathologischer Narzißmus, Seite 262 ff).

Praktische Typologie des Narzissmus

Die praktische Typologie des Narzissmus hat sich in der Paar-Psychologie und im Geschäftsleben konkretisiert.

In der Paar-Psychotherapie

Die Paar-Psychotherapie hat die Erkennbarkeit des Narzissmus weiterentwickelt. Sie hat die diagnostischen Formulierungen in allgemein verständliche Merkmale umgemünzt und in Einzelpunkten ausformuliert. An ihnen kann ein Partner den Narzissmus des anderen erkennen und entsprechend darauf reagieren.

Im Geschäftsleben

Im Geschäftsleben den Chef als Narzissten entlarven helfen, ist ein weiteres Feld der Erkennbarkeit des Narzissmus in der Psychotherapie. Es beschäftigt sich mit den Problemen am Arbeitsplatz und bietet Hilfe in gestörten Arbeitsverhältnissen an.

Heilbarkeit des Narzissmus

Narzissmus ist nicht heilbar; denn eine Persönlichkeit kann nicht insgesamt verändert werden. Allerdings sind narzisstische Persönlichkeitsstörungen so weit zu mildern, dass die Narzissten und ihr Umfeld kaum noch unter den Verhaltensweisen leiden.

Voraussetzung dafür ist, dass sich die Narzissten psychotherapeutisch behandeln lassen. Je früher die Behandlung beginnt, desto größer ist ihr Erfolg. Doch viele Narzissten bemerken ihre Persönlichkeitsstörung gar nicht oder wollen sie nicht wahrhaben. Ein Grund liegt darin, dass sie in ihr Umfeld gut integriert sind.

Deshalb fehlt es an der Selbstwahrnehmung ihrer Persönlichkeitsstörung und der Einsicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Setzt allerdings die Einsicht ein, ist bereits wertvolle Zeit für eine erfolgreiche Behandlung verstrichen.

Der Narzissmus kann im Alter abflachen. Wenn die Narzissten im Laufe ihres Lebens Erfolge erzielt haben, brauchen sie nicht mehr auf andere neidisch zu sein.

Für den Narzissmus im Recruiting spielt dieses Abflachen kaum eine Rolle. Es mindert die Auswirkungen des Narzissmus nur gering oder kommt zu spät.

Auswirkung des Narzissmus

Die Auswirkungen des Narzissmus verlaufen in zweierlei Richtungen.

Auswirkungen des Narzissmus auf den Narzissten selbst

Die Auswirkungen des Narzissmus auf den Narzissten selbst sind die Folgen seines Leidensdrucks, wenn er sich von seinem Umfeld ausgestoßen fühlt. Doch dieser Leidensdruck muss erst einmal entstehen. Oft sind Narzissten sehr erfolgreich. Sie betrachten das Ausgestoßen-Sein als Folge eines natürlichen Neids, den ihr Umfeld ihnen gegenüber hegt; denn das Umfeld im Geschäftsleben ist schließlich auf den erfolgreichen Narzissten angewiesen.

Aus dieser Fehleinschätzung wird ihr Narzissmus für sie zur Strategie im Umgang mit anderen Leuten (Lütz, Manfred, „Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?“, Seite 37).

Wenn es einem Narzissten allerdings gelingt, seinen Narzissmus zu identifizieren und zu akzeptieren, vermag er, seinen Leidensdruck einzuordnen. Dann will er von ihm befreit werden und auch sein Umfeld nicht länger drangsalieren. Andernfalls verhärtet sich sein Narzissmus bis zur Unbehandelbarkeit.

Auswirkungen des Narzissmus auf das Umfeld des Narzissten

Die Auswirkungen des Narzissmus auf das Umfeld des Narzissten ist zerstörerisch. Da Narzissmus unheilbar, allenfalls einschränkbar ist, muss sich das Umfeld mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Der Anspruch auf Omnipotenz und auf Bewunderung, die Verstoßung, Ächtung oder Rache bei mangelnder Bewunderung sowie die Ausbeutung der Bewunderer durch einen Narzissten hören niemals auf. Hinzukommt der Neid auf vermeintlich bessere Zeitgenossen.

Das Umfeld kann sich mit diesen Eigenschaften arrangieren, indem es den Narzissten durch schonende Umgangsformen kultiviert. Es kann die zugefügten Leiden stoisch ertragen oder gar die Rolle des gerecht Leidenden annehmen. Doch es sollte sein eigenes psychisches Korsett nicht überstrapazieren; denn Hilfe ist nicht zu erwarten.

Folglich bleibt keine andere Wahl, als das Verhältnis zum Narzissten aufzulösen. Besser ist der Rat des Sponti-Spruchs: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht!“ Der Narzisst ist aus dem Umfeld zu entfernen.

Narzissmus im Recruiting

Der Narzissmus im Recruiting ist nun aus den allgemeinen Darstellungen des Narzissmus abzuleiten. Lehren sind zu ziehen, die im Ablauf des Recruitings Anwendung finden müssen.

Typologie des Narzissmus im Recruiting

Zur Erkennbarkeit des Narzissmus im Recruiting sind die von der Paar-Psychotherapie und der Arbeitspsychotherapie angewandten Merkmale nur von bedingtem Wert; denn die gesuchten Eigenschaften offenbaren sich nicht sofort.

Im Gegenteil sind die Bewerber daran interessiert, ihren Narzissmus zu verbergen. Deshalb muss der Recruiter nach den diagnostischen Hauptkennzeichen des Narzissmus situativ im Werdegang des Bewerbers suchen. Sein Beobachtungsfeld für die Erkennbarkeit des Narzissmus ist die Zwischenstufe.

Die Aufgabe des Recruiters besteht darin, die Eignung des Bewerbers für die ausgeschriebene Aufgabe und nicht Krankheitssymptome festzustellen.

Lehren für den Narzissmus im Recruiting

Die Lehren für den Narzissmus im Recruiting fallen unterschiedlich aus.

Lehre 1 – aus der Metamorphose des Ovid

Die Lehre aus der Metamorphose des Ovid ist, dass sich Narzissmus nicht lohnt; Narcissus erleidet den Tod, als er sich im Spiegelbild selbst erkennt. Von ihm bleibt nichts zurück, stattdessen sprießt eine Narzisse am Ort seines Verschwindens. Also ist der Narzissmus selbst nicht zu akzeptieren, wohl aber der Gedanke der Schönheit.

Im Recruiting ist der Narzisst auszuschließen; denn Harmonie in der Belegschaft im Unternehmen geht einer narzisstischen Selbstbespiegelung einzelner Mitarbeiter vor.

Lehre 2 – aus dem psychologischen Narzissmus

Die Lehre aus dem psychologischen Narzissmus besteht aus der Summe seiner Erkenntnisse. Die Entwicklung des psychologischen Narzissmus ist ein Prozess, der noch nicht beendet ist. In theoretischen Betrachtungen zu seinem pathologischen Charakter wurden seine Symptome beschrieben.

Daraus haben sich psychotherapeutische Methoden entwickelt, die Anregungen für das Recruiting enthalten.

Lehre 3 – aus der Abstufung des Narzissmus

Die Lehre aus der Abstufung des Narzissmus für das Recruiting ist eine differenzierte Betrachtungsweise. Nicht jeder Narzisst ist pathologisch; nicht jeder Narzissmus ist im Recruiting schädlich. Bestimmte Berufsbilder erfordern sogar ein bisschen Narzissmus.

Aus diesen Gründen ist die Zwischenstufe für den Narzissmus im Recruiting von Bedeutung.

Lehre 4 – aus der Typologie des Narzissmus

Die Lehre aus der Erkennbarkeit des Narzissmus fordert vom Recruiting eigene Methoden zur Erkenntnis. Die beschriebenen Erkenntnisse über narzisstische Verhaltensstörungen sind aus der Therapie für die Therapie beschrieben worden. Obwohl sie öffentlich bekannt sind, gelingt es oft Betroffenen nicht, sich selbst als narzisstisch einzustufen.

Das Recruiting steht vor dem Problem, die Merkmale des Narzissmus zu identifizieren. Es verschärft sich, wenn die Merkmale vom Bewerber vertuscht werden.

Deshalb muss es ständig eigene Wege finden, Narzissten rechtzeitig zu entdecken.

Lehre 5 – aus der Heilbarkeit des Narzissmus

Die Lehre aus der Heilbarkeit des Narzissmus ist, dass er unheilbar ist. Im besten Fall ist der Narzissmus eindämmbar.

Deshalb kann ein Narzisst ein Unternehmen erheblich stören. Sein Mangel an Teamfähigkeit ist noch das geringste Übel (siehe auch „Mangel an Teamfähigkeit/ Spot Oktober 2021“ ). Der Narzisst kann sogar sein Arbeitsumfeld krank machen. Im schlimmsten Fall laufen dem Unternehmen qualifizierte Arbeitskräfte davon oder sind erst gar nicht zu beschaffen.

Die Unheilbarkeit des Narzissmus zieht für das Unternehmen noch weitere Probleme nach sich.

Schlussfolgerung aus den Lehren

Die Schlussfolgerung aus den Lehren ist, dass es sich bei einem pathologischen Narzissten um einen potenziellen Störenfried für ein Unternehmen handelt. Deshalb ist er rechtzeitig schon im Recruiting zu entfernen; denn von jedem im Recruiting aussortierten und deshalb nicht eingestellten Narzissten geht kein Schaden mehr für das Unternehmen aus. Weil kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, braucht es nicht gekündigt zu werden. Daher kann der Narzisst seinem Arbeitgeber mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht auch keine zusätzlichen Schwierigkeiten bereiten.

Gruppen von Narzissten im Recruiting

Gruppen von Narzissmus im Recruiting dienen dem Ausfindigmachen von unterschiedlichen Typen von Narzissten.

Pathologische Narzissten

Pathologische Narzissten müssen auf jeden Fall im Recruiting ausfindig gemacht und aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden. Natürlich ist es von Recruitern zu viel verlangt, dass sie den pathologischen Narzissmus mit psychoanalytischen Methoden erkennen. Dasselbe gilt für das Auffinden eines Charakters mit pathologisch narzisstischen Zügen. Deshalb reichen bereits der gesunde Menschenverstand und ein geschultes Gefühl zur Früherkennung von Narzissmus aus. Qualifizierte Recruiter entwickeln durch ihre Berufserfahrung und ihre Lebenserfahrung das dazu erforderliche Gespür.

Narzissten der Zwischenstufe

Narzissten der Zwischenstufe sind schwieriger auszumachen. Sie sind Normale mit einem Hang zur Selbstdarstellung. In kreativen Berufen gehört ein gewisses Maß an Narzissmus zur Stellenbeschreibung. Bei der Schauspielerei und für bestimmte Positionen kann die Extraversion hilfreich sein. Deshalb ist Fingerspitzengefühl des Recruiters gefragt, wenn er dem Narzissmus im Recruiting gerecht werden will.

Methoden zum Aufdecken und Beurteilen von Narzissmus im Recruiting

Drei Methoden zum Aufdecken von Narzissmus im Recruiting sollen vorgestellt werden.

Methode 1: Analyse der Körpersprache des Bewerbers

Die Analyse der Körpersprache des Bewerbers ist eine wichtige Methode zum Entdecken von Narzissmus im Recruiting. Da der Bewerber seine Körpersprache während seines Vorstellungsgespräches nicht vollständig und stets unter Kontrolle hat, kann sie wertvolle unverfälschte Hinweise geben.

Im Gegensatz zur normalen Ausdrucksweise ist sie nur bedingt trainierbar. Zwar gibt es Trainings, die Vorstellungsgespräche in Rede und Antwort sowie in Gesten einüben; aber sie sind nicht in der Lage, jede unerwartete Situation vorwegzunehmen.

Methode 2: Analyse des Werdegangs des Bewerbers

Die Analyse des Werdegangs des Bewerbers kann wichtige Informationen zum Narzissmus zutage fördern. Dazu ist es erforderlich, jede und nicht nur die letzte Position zu betrachten. Auch müssen die Stationen im Werdegang wie ein Lebenslauf verfolgt werden, also von der Vergangenheit in die Gegenwart und nicht umgekehrt.

Lücken im Werdegang eines Bewerbers

Diese Vorgehensweise hilft auch, Lücken in der Papierform aufzudecken. Lücken zerstören nicht nur das vermeintlich einheitliche Bild, das der Bewerber vortäuscht. Sie machen auch jeden Narzissten kleiner als er in Wirklichkeit ist. So verliert er die Größe, die für die Besetzung der Position benötigt wird.

Die Konsequenz ist ein Ausschluss aus dem Bewerbungsprozess. Um dem Ausschluss vorzubeugen, ist den Bewerbern zu empfehlen, Lücken im Werdegang offen zu kommunizieren.

Veränderungen im Werdegang eines Bewerbers

Veränderungen im Werdegang eines Bewerbers dienen dazu, die Papierform an die zu besetzende Stelle anzupassen. Das Anreichern des Lebenslaufs durch aufgewertete Aufgaben oder hinzugefügte, aber nie ausgefüllte Positionen, ist eine vielverwandte Methode. Sie lässt auf Narzissmus schließen.

Letztlich ist es unerheblich, wie der Werdegang eines Bewerbers verändert wird. Eine veränderte Papierform zieht das Ende der Bewerbung nach sich.

Methode 3: Analyse der Arbeitszeugnisse des Bewerbers

Eine Analyse der Arbeitszeugnisse kann wichtige Aufschlüsse zum Narzissmus im Recruiting geben.

Verhältnis zu Vorgesetzten, Kollegen und Kunden

Das Verhältnis zu Vorgesetzten, Kollegen und Kunden ist in jedem Zeugnis zwingend zu erwähnen, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Wird sie verändert, ist Vorsicht geboten. Wenn aus anderen Gründen eine Einstellung des Bewerbers erwogen wird, ist der Narzissmus besonders bei Führungskräften zu hinterfragen.

Keine Angaben zum genannten Verhältnis signalisieren mindestens ein gestörtes Verhältnis. Fragen zum Narzissmus erübrigen sich; denn fehlende Angaben sind ein K.O.-Kriterium für die Einstellung.

Zusammenfassende Beurteilung im Arbeitszeugnis

Die zusammenfassende Beurteilung im Arbeitszeugnis eines Bewerbers hat sich auch zu seinem Verhalten im Unternehmen zu äußern. In der Regel enthält sie gerichtsbeständige Benotungen. Sie deuten an, ob ein Narzissmus des Bewerbers vorliegt.

Dank für die Zusammenarbeit

Der Dank für die Zusammenarbeit am Schluss eines Arbeitszeugnisses wird häufig unterschätzt. Seine Formulierung eröffnet dem Recruiter die Möglichkeit, zwischen den Zeilen des Dankschreibens nach Narzissmus des Bewerbers Ausschau zu halten. Ein Fehlen des Danks ist ein Ausschlusskriterium der Bewerbung.

Wünsche für die Zukunft

Die Wünsche für die Zukunft geben darüber Auskunft, ob sich das Zeugnis ausstellende Unternehmen eine Zusammenarbeit mit dem Bewerber wünschen würde. Gerade die Wünsche für die private Zukunft des Bewerbers sind für die Einschätzung seines Verhaltens relevant.

Fehlen die Wünsche, ist ein großes Fragezeichen, auch zum Narzissmus, des Bewerbers angebracht.

Einschätzung der Methoden zum Aufdecken und Beurteilen von Narzissmus im Recruiting

Die Einschätzung der Methoden zum Entdecken und Beurteilen von Narzissmus im Recruiting bedarf einer gewissen Relativierung. Natürlich hat das Recruiting Narzissten aus der Bewerbung auszuschließen; es kann aber nicht die Pflicht des Arbeitgebers ersetzen, Narzissten zum Schutz des Betriebsklimas zu entlassen.

Deshalb sind die genannten Methoden zwar konsequent anzuwenden, aber nicht auf die Spitze zu treiben; denn die Beurteilung von Narzissmus ist ein Problem, das nicht in der Kürze des Recruitings zweifelsfrei zu lösen ist.

Zur Illustration sei auf zwei Fälle hingewiesen. Der eine ist der Fall eines im Operationssaal mit Seziermessern um sich werfenden Chefarztes; der andere Fall ist der des den Taktstock zerbrechenden Chefdirigenten eines Orchesters. Beide sind Narzissten. Während der Chefdirigent bereits narzisstischen Standard in der Zwischenstufe genießt, kann der Narzissmus des Chefarztes Thema arbeitsrechtsgerichtliche Konsequenzen haben.

Ein Recruiter aber ist mit einer Beurteilung beider Narzissmen überfordert.

Call-to-Action

Zur ergänzenden Lektüre seien empfohlen die Spots

 sowie die Beraterbriefe auf www.kettembeil.de

  • „Hochmut kommt vor dem Fall“, Juni 2000
  • „Das Kandidatenmobbing“, Oktober 2014

Fazit

Der Narzissmus im Recruiting gewinnt seine Bedeutung aus der dem Arbeitsverhältnis vorgeschalteten Beurteilung eines Bewerbers. Der Recruiter ist nämlich rechtzeitig in der Lage, einen narzisstischen Bewerber auszusortieren. Der für das Unternehmen schädliche Bewerber wird nicht eingestellt. Deshalb ist es wichtig, auf Narzissmus im Recruiting aufmerksam zu machen.

Der Begriff „Narzissmus“ entstammt einer Metamorphose von Ovid, in der sich Narcissus in sein Spiegelbild verliebt. Von der Psychoanalyse aufgegriffen und weiterentwickelt, dient er der psychotherapeutischen Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Von den beschriebenen Abstufungen des Narzissmus ist die Zwischenstufe für das Recruiting interessant; denn sie umschreibt Normale mit einem charakterlich narzisstischen Überschuss, den sie für die Ausübung ihres Berufes benötigen. Die Aufgabe des Recruiting ist es, die pathologischen Narzissten aus dem Bewerbungsverfahren auszuschließen. Die Bewerber, die der Zwischenstufe angehören, sind richtig einzuordnen. Dazu kann sich der Recruiter verschiedener Methoden bedienen, mit denen er den Narzissmus ausfindig macht. Über das Entdecken der Narzissten hinaus hat der Recruiter den Narzissmus des Bewerbers zu beurteilen und ihn nach bestem Wissen und Gewissen einzuschätzen.  

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